Nach Schätzungen der EU beträgt der weltweite "Schaden" durch so genannte "Produktpiraterie" etwa 300 bis 600 Mrd. Euro. Eine OECD Studie spricht von 200 Milliarden US$, dabei aber den "Schaden" durch die über das Internet getauschten Produkte noch nicht eingerechnet. Der Mitschnitt der Tonspur eines einzigen Kino-Films in Hamburg soll laut angaben des Filmverleihs einer 6-stelligen Schadenshöhe entsprechen.

Über so genannte "geistige Eigentumsrechte"

Mit solchen und ähnlichen Zahlen soll Stimmung für die in letzter Zeit erfolgten oder gerade in Arbeit befindlichen drastischen Verschärfungen so genannter "geistiger Eigentumsrechte" gemacht werden. Biopatente, Software-patente, Verlagerung der Delikte aus dem Zivil- ins Strafrecht durch EU-Direktiven und vieles mehr stehen an oder wurden bereits umgesetzt.

Wie sieht das aus gewerkschaftlicher Sicht aus? Was haben wir arbeitenden Menschen davon, dass wir hier vor angeblichem "Schaden" bewahrt werden sollen?

Um darüber zu Urteilen ist es hilfreich sich folgenden Satz des Schriftstellers und Sprachkritikers E.A. Rauter zu vergegenwärtigen:

„Wir brauchen keine Arbeitsplätze, wir brauchen Schuhe, Nudeln, Betten, Wohnungen, Musik und Kartoffeln, Anzüge und Würste, Badewannen und Artischocken, Haarnadeln und Rotwein, Kopfschmerztabletten und Lastwagen, Bilder, Bücher und Brot.“

Das weltweite Angebot an Waren und Dienstleistungen wird nicht verringert wenn jemand einen Nike-Schuh kopiert. Es wird nicht verringert wenn in
Südamerika oder Afrika Medikamente erzeugt werden ohne den Pharma-giganten dafür Lizenzgebühren zu bezahlen. Es wird auch nicht verringert wenn Jugendliche mit ihren Freunden MP3-Musikdateien tauschen. Ganz im Gegenteil! Wissen und Information werden nicht weniger wenn sie verbreitet werden. Ein Schaden entsteht eher dadurch, dass im gegenwärtigen System der so genannten "geistigen Eigentumsrechte" der Zugriff auf Wissen und Information, der in
Zeiten des Internet praktische ohne extra Kosten möglich wäre, nicht erlaubt wird. Wie viele Milliarden Stunden an menschlicher Arbeitszeit sinnlos verschwendet werden, darüber gibt es leider noch kaum Studien.

Es ist also absurd hier von einem "Schaden" zu sprechen. Was sich ändert ist hier erst einmal nur die Verteilung des Wohlstandes mit dem über den Pool an Waren und Dienstleistungen verfügt werden kann. Ob Menschen in Entwicklungsländer Zugang zu Medikamenten und anderen lebenswichtigen Dingen bekommen oder nicht. Ob sich nur reiche Kids eine komplette Musiksammlung leisten können oder ob diese auch für ärmere Kinder möglich ist. etc..

In zweiter Hinsicht natürlich auch die Motivation was produziert und geforscht wird und was nicht. So tragen die Bio-patente nicht unwesentlich zum Gentech-Wahnsinn bei. Pharmakonzerne investieren mehr in Kosmetikforschung als in die Entwicklung von Medikamenten gegen Krankheiten die in Entwicklungsländern verbreitet sind und geben etwa doppelt so viel
für Werbung als für Forschung aus.

Wir müssen also die Frage stellen, wie eine vernünftige Verteilung des Wohlstandes aussehn sollte und ob das gegenwärtige System von so genannten "geistigen Eigentumsrechten" dazu in der Lage ist. Wir müssen die Frage
stellen wie wir den Zugriff auf Wissen und Information so organisieren, dass mit möglichst wenig Arbeitskraft möglichst viel Nutzen für möglichst viele
Menschen erzielt werden kann und wir müssen fragen wie das System so gestaltet werden kann, dass die Kapazitäten für Forschung, Entwicklung und Kreativität nicht sinnlos vergeudet werden. Diese Fragen sollen im folgenden kurz angerissen Werden.

Zuerst ein Blick auf die Verteilung

Nehmen wir das Beispiel Musikproduktion: Die KünstlerInnen erhalten von den etwa 15-20 Euro die eine CD kostet nur wenige Cent. Etwa 1 Euro macht die
Herstellung aus. Der Großteil der Einnahmen aus dem Verkauf einer Musik-CD
geht an die Medienkonzerne und die dafür keinen gesellschaftlich Relevanten Nutzen produzieren. Unter den KünstlerInnen werden die Einnahmen ebenfalls sehr ungleich verteilt. Während einige Popsternchen super reich werden, kann die Mehrzahl der KünstlerInnen nicht vom ihrer Arbeit leben. Keine optimale Verteilung also.

Ähnliche Verhältnisse finden sich in praktisch allen Produktionsbereichen immaterieller Güter: Wissenschaftliche Forschung, Medien und Journalismus, Kunst, Kultur, Literatur, Architektur, Software Entwicklung, etc. etc.

Der Verwertungszwang und seine Folgen

Dass von diesen Tätigkeiten nur leben kann wer seine/ihre Werke verkauft bleibt natürlich nicht ohne Einfluss auf das Werk selbst: Es wird mehr oder weniger an den kommerziellen Interessen ausgerichtet sein. Nehmen wir das
Beispiel Wissenschaftlicher Forschung. Diese wird immer mehr kommerzialisiert. Der Einfluss von Biopatenten auf die Entwicklung der Gentechnik wurde bereits erwähnt. WissenschafterInnen müssen "Auftraggeber-orientiert" forschen. Welche Fragestellungen überhaupt behandelt werden und ob die Ergebnisse geliefert werden die gewünscht werden entscheidet über Folgeaufträge.

Kunst, Kultur und Wissensproduktion werden damit zunehmend direkter von Kapitalinteressen bestimmt. Wie viele Menschenleben kostet es jährlich wenn Pharmakonzerne lieber an Kosmetika als Medikamenten forschen? Wieviele JournalistInnen wüssten sich nicht etwas bessere mit ihrer Zeit anzufangen als Räubergeschichten für den Lokalteil kleinformatiger Hetzblätter zu erfinden? Leider ist das meist das einzige wofür die Logik der marktvermittelten Verwertung des so genannten "geistigen Eigentums" sie zu bezahlen bereit ist.

„Geistiges Eigentum“ ist ein neokoloniales Herrschaftsinstrument.

Die Konzerne haben keineswegs etwas dagegen die Software Produktion und andere Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in Billiglohnländer zu
verlagern ("Outsourcing" / "Offshoring"), sie wollen dabei aber die
Kontrolle ("Geistiges Eigentum") über das was entwickelt wird behalten. Die ArbeiterInnen in diesen Ländern sollen also billige ProgrammiersklavInnen
abgeben, während das was sie Entwickeln den Konzernen aus den reichen Ländern gehören soll. Patente sind also ein Werkzeug um die globale
Hierarchie der Ausbeutung zu stabilisieren und auszubauen.

Den ArbeiterInnen in den reichen Ländern wurde ursrpünglich weisgemacht, dass sei zu ihrem Vorteil. Mit den so erwirtschafteten Profiten könnten hier höhere Löhne bezahlt werden. Abgesehen davon, dass diese Art der Komplizenschaft unsolidarisch ist, funktioniert das Ganze auch nicht so. Die Möglichkeit über die so genannten "geistigen Eigentumsrechte" die in den armen Ländern produzierten Informationsgüter zu besitzen ist erst Recht Motivation für mehr Outsourcing in Billiglohnländer. Die "geistigen Eigentumsrechte" garantieren die Profitflüsse aus den Entwicklungsländern und helfen das globale Ungleichgewicht aufrecht zu erhalten, sind also im Sinne dessen was man neuerdings als "nachhaltig" bezeichnet.

Zu dieser Erkenntnis ist inzwischen auch Bruce Lehman, einer der Architekten des TRIPS Abkommens, dass den Bereich "geistiger Eigentumsrechte" in den WTO Verträgen abdeckt, gekommen. "Die USA hätten besser Arbeits und Umweltstandards in die WTO Verträge aufnehmen sollen", so Lehman. „Geistiges Eigentum“ ist ein neokoloniales Herrschaftsinstrument.

Die so genannten "geistigen Eigentumsrechte" schaden den arbeitenden Menschen hier also in jeder Hinsicht.

Künstlich eingeschränkter Nutzen der Informationsgüter

Urheberrecht und Patente machen Wissen- und Information durch Gesetze künstlich rar, um sie im Kapitalismus als Ware handeln zu können. Dies schränkt den Nutzen dieser Güter auf diejenigen ein die ihn bezahlen können und wollen. Der mögliche gesellschaftliche Nutzen wird also nicht optimal
ausgeschöpft. Kapitalismus, der gemeinhin als so "effizient" gilt, versagt hier ganz offensichtlich, wo es um die Maximierung des gesellschaftlichen
Nutzens geht. Eben Moglen, Anwalt der FSF und Professor für Recht und Geschichte an der Columbia University schreibt dazu:

Die Gesellschaft sieht sich mit der schlichten Tatsache konfrontiert, dass der Ausschluss vom Besitz schöner und nutzbringender intellektueller Erzeugnisse und von dem Wert all dieser Wissenszuwächse für die Menschen nicht länger der Moral entspricht, wenn jedermann sie zu den gleichen Kosten wie jede Einzelperson besitzen kann. Hätte Rom die Macht gehabt, jedermann zu ernähren, ohne dass daraus weitere Kosten als die entstanden wären, die für Cäsars eigene Tafel zu zahlen waren, hätte man Cäsar mit Gewalt verjagt, wenn noch irgend jemand hätte verhungern müssen. Das bürgerliche System des Eigentums verlangt jedoch, Wissen und Kultur nach Maßgabe der Zahlungsfähigkeit zu rationieren.

Alternative Produktionsweisen und der extra Nutzen freier Information

Die technischen und legistischen Zäune die zum "Schutz" des so genannten "geistigen Eigentums" errichtet wurden und werden verursachen aber auch Kollateralschäden und deren Beseitigung bringt damit oft reichen extra
Nutzen mit sich. Bekanntestes Beispiel dafür ist die freie Enzyklopädie Wikipedia. Mit der freien Verfügbarkeit, Durchsuchbarkeit und sofortiger Erweiterbarkeit ist sie 1000 mal nützlicher als jede kommerzielle Papierenzyklopädie.

Auch das Beispiel Freier Software zeigt, dass Entwicklung besser funktioniert, wenn auf "geistige Eigentumsrechte" verzichtet wird. Freie Software benutzt Lizenzen die, anstatt wie beim Copyright üblich, die
Verwendung einzuschränken, diese im Gegensatz dazu garantieren. Offene und freie Software ist damit wesentlich nützlicher als kommerzielle "Closed
Source" Software. Der freie Zugang zum Source Code erlaubt es alle Programme nach eigenen Bedürfnissen anzupassen. Es sind damit Anwendungen möglich die kommerziellen Systemen nicht machbar sind.

Könnten wir in allen Werken der Weltliteratur online suchen, und die Ergebnisse sofort herunterladen kann, dann ist das wesentlich nützlicher, als wenn ich tagelang in Bibliotheken recherchieren muss.

Mit der zunehmenden Automatisierung spielen Wissen und Information auch in der Produktion materieller Güter eine immer wichtiger werdende Rolle. Auch hier könnte der freie Austausch an Know-How, Konstruktionsplänen, Software, etc.. enorme Produktivitätssteigerungen bringen:

Der Philosoph André Gorz meint in diesem Zusammenhang:

„Der Kapitalismus ist damit in der Entwicklung seiner Produktivkräfte an eine Grenze gestoßen: eine Grenze, jenseits welcher er sich selbst überwinden müsste, um sein Potenzial auszunützen.“ --- André Gorz, Die Presse/Spectrum 14.08.2004.

Zensur, Überwachung und die totale Kontrolle durch DRM

Schon bei der Einführung des Urheberrechts stand die Zensur Pate. Der Buchdruck wurde sehr bald von den Mächtigen als Gefahr erkannt, denn damit konnten jede Menge unliebsamer Ideen unter die Massen gebracht werden. Auch heute noch wird das Copyright benutzt um Informationen zu unterdrücken. Auch im Bereich der Patente findet Zensur statt. Neue Technologien werden durch
den Patentschutz, zum Teil bewusst, zurückgehalten, um die alten, profitablen zu schützen. Die relative Freiheit des Internets macht Zensur heute jedoch schwierig. Aber daran, das zu ändern wird schon gearbeitet.

Mittels so genannten "Digital Rights Management" (DRM) Technologien soll Information nur noch verschlüsselt zur Verfügung stehen. Der Schlüssel
verbleibt bei den Medienkonzernen und diese können damit bestimmen wer, wann, wo und wie auf Daten zugreifen kann. So eine Technik kann aber
letztlich nur funktionieren wenn auch die totale Kontrolle über die Hardware ausgeübt wird. Das soll mit so genannten "Trusted Computing" Technologien
erreicht werden. Am Ende dieser Entwicklung steht die Perspektive in der
wenige Medienkonzerne die totale Kontrolle über alle Aspekte unserer Informationsverarbeitung haben. Die faschistoide "Digital Restrictions Management" Technologie ist daher eine massive Gefahr für die Freiheit.

Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass es vor allem auch die Medienkonzerne waren die in der EU Lobbying für die Vorratsdatenspeicherung betrieben haben.

Letztlich ist die Dominanz einiger weniger Medienkonzerne auch jetzt schon eine enorme Gefahr für die Demokratie und diese Dominaz fußt nicht unwesentlich auf der Tatsache dass Wissen und Information zur Ware gemacht werden können.

Fassen wir all die Schäden und Nachteile die nicht mangels sonder gerade durch das System so genannter "geistiger Eigentumsrechte" entstehen zusammen, so dürften diese wohl die Eingangs erwähnten "Schäden" um mehrere Größenordnungen übersteigen. Die Überwindung dieses absurden Systems und
die Schaffung von vernünftigen Bedingungen für die Produktion von Kunst,
Kultur, Wissenschaft, Forschung und Information müssen daher ein wichtiges Anliegen gewerkschaftlicher Aktivität sein. Die Beispiele von Freier Software und Wikipedia zeigen, dass Alternativen machbar und sinnvoll sind.

Franz Schäfer, Juli 2007

Siehe auch: 11 Argumente gegen so genanntes ’Geistiges Eigentum’