Liest man die Kommentare in den Online-Foren durch so kommen vor allem folgende Argumente:
1.) Angst um "unsere" so genannte "kulturelle Identität".
2.) Wenn da "alle" kommen dann wäre es vorbei mit unserem Sozialstaat.
bei 1.) haben wir also den altbekannten klassischen Rassismus, wenig verpackt in nicht all zu neue "Argumente". Rassismus war und ist die Konstruktion des "Wir" vs. "Die" und Zuschreibung von "Kultur" war und ist ein zentrales Element dieses Prozesses. Niemand will gerne Rassist sein, insofern ist der neue Sprachgebrauch auch ein Mittel mit dem die RassistInnen ihre Ideologie vor sich selbst verstecken. Es ist kein Zufall dass sich manche Nazis jetzt "Identitäre" nennen.
zum 2. Punkt: Hier haben wir einerseits ein schlechtes Gewissen: Dass es uns halbwegs gut geht während Andere in bitterster Armut leben, verbunden mit der Angst: Wenn da zu viele kommen dann würden wir alle in Armut leben. Die Bilder im Kopf sind wohl alle ähnlich: Wenn wir die Grenzen aufmachen, dann leben wir alle bald in Lehmhütten.
Offensichtlich fehlt vielen hier ein Grundsätzliches Verständnis für Wirtschaft: Einerseits ist Wirtschaft kein Nullsummenspiel. Nicht jeder Vorteil des einen muss ein Nachteil eines anderen sein. Wer zu uns kommt braucht Wohnung, Kleidung, Nahrung, Gesundheitsversorgung. Wer zu uns kommt will aber auch arbeiten. Stellt also auch Arbeitskraft zur Verfügung.
Und wer die Grundlagen des Marxismus verstanden hat: Die zur Verfügung gestellte Arbeitskraft hat, umgewandelt in Arbeit, einen einen hören Wert als die Kosten für die Lebenshaltung.
Aber wie sieht es mit der Ressourcenverwendung aus? Leben wir hier nicht alle auf Kosten der Entwicklungsländer? Sogar Linke sind dieser Meinung: Siehe z.B."Ulrich Brand - Imperiale Lebensweise". Tatsächlich leben wir hier auf Kosten der ärmeren Länder, aber das müsste nicht so sein. Das Problem ist nicht unser relativer Wohlstand sondern die Verschwendung und Ineffizienz des Kapitalismus.
Marx hielt den Kapitalismus noch für effizient ( = Der Kapitalist ist gezwungen seine Produkte mit möglichst geringen Aufwand zu erzeugen um am Markt konkurieren zu können). Allerdings war auch Marx schon bekannt dass es im Kapitalismus periodische Krisen gibt in denen Überproduktion vernichtet wird. (Siehe: Manifest).
Der moderne Kapitalismus hat die Vernichtung von Produktivkraft schon sehr gut verinnerlicht. Ich schätze etwa die Hälfte der heute geleisteten Arbeit ist unnötig oder sogar schädlich. Man denke z.B. an Marketing und Werbung: Eine Industrie die als einziges Produkt unsere Unzufriedenheit hat. Ebenso: Rüstung, Krieg, geplante (oder tollierirte) Obsoleszenz, Glücksspiel, absurde Finanz"produkte", so genanntes "Geistiges Eigentum" - per Gesetz wird etwas künstlich rar gemacht was ansonsten im Überfluss vorhanden wäre, etc, etc..
Warum kann man ein Handy heute nur etwa 2 Jahre benutzen und nicht 5 oder 7?
Manche Menschen müssen sich ein Auto kaufen, vor allem damit sie täglich in den Job fahren können den sie wieder benötigen um das Auto zu bezahlen. etc..
Könnten wir ein vernünftiges Wirtschaftssystem etablieren, das ohne die kapitalistische Ineffizenz auskommt könnten wir ALLE doppelt so gut leben. D.h. vor allem nur noch halb so viel Arbeiten und dennoch den selben Wohlstand haben und insgesamt wohl glücklicher sein und weniger Ressourcen verbrauchen.
Die beiden Punkte verstärken sich natürlich auch gegenseitig. Wer auf Grund von Punkt 2 Angst um die Zukunft hat sucht sich mittels Punkt 1 die Schuldigen.
Ich denke es ist auch wichtig zu verstehen, dass es im Punkt 2 weniger um tatsächliche Soziale Probleme im hier und jetzt geht als um eine diffuse Angst vor der Zukunft (die natürlich von Problemen im hier-und-jetzt verstärkt werden kann).
Für uns Linke ergeben sich damit 2 Herausforderungen:
Wir müssen, im Punkt 1 entsprechend zu adressieren, den Rassismus bekämpfen. Vor allem in dem wir die Absurdität dieser Konstruktion von "Kultureller Identität" deutlich machen. Meine "kulturelle Identität"? Ich bin IT-Nerd, Linux-User, Kommunist, Maker, Hobbykoch, Celtic-Punk Fan und passionierter Radfahrer. Nichts davon hat damit zu tun wo ich wohne und aufgewachsen bin.
Ein wichtiger Aspekt hier ist auch der anti-muslimische Rassismus. Viele (vor allem auch Menschen die sich selbst als Linke bezeichnen würden) verstecken ihren Rassismus hinter "Islamkritik". Und ja: Als Linke dürfen und sollen wir Religion kritisieren. Aber dann bitte alle Religionen: Denn die sind im Kern alle ziemlich gleich falsch ("Glaube an absurden Hokus-Poku"). Andererseits haben wohl auch alle Religionen da und dort ein wenig Positives ("Ideen darüber wie ein gutes Zusammenleben aussehen könnte"). Wer sich, wie ich, eine sekulare Welt wünscht, sollte wohl am besten mit gutem Beispiel vorangehen und mit Toleranz und Humanität zeigen, dass es keiner Religion bedarf. Umgekehrt: Wer Menschen wegen ihrer Religion ausgrenzt trägt wohl nur dazu bei, dass sich diese noch mehr in diese zurückziehen.
Wichtig ist es, zu verstehen: es geht beim Kampf gegen Rassismus nicht darum, dass "wir" zu "den anderen" lieb und nett sein sollen. Es geht in erster Linie darum die Konstruktion dieses "wir" vs "die anderen" zu verhindern und zu zerlegen. Wer flüchten muss ist zuerst einmal: Mensch. Ein Mensch mit Ängsten, Sorgen, Vorlieben, Bedürfnissen, Humor, Ärger, Hass, Liebe, Vorurteilen, Weisheiten, etc. Es wäre dabei auch nicht gut, nur die positiven Seiten zu sehen: So wie bei den hier Lebenden Menschen gibt es auch bei den Menschen auf der Flucht sehr unterschiedliche. Je nachdem welche Definition wir verwenden haben wir in Österreich etwa 20 bis 60% Rechtsextreme. Und auch unter Menschen auf der Flucht gibt es viele mit nicht gerade tollen politischen Einstellungen.
Ebenso wichtig ist es für uns sich aufs schärfste von allen Kräften abzugrenzen, die versuchen mittels Rassismus-Light ihre Popularität bei den WählerInnen zu steigern, anstatt diesen Rassismus zu bekämpfen.
Zum zweiten Punkt: Hier bedarf es vor allem die Vermittlung eines soliden, marxistischen Wirtschaftsverständnisses. (Wobei auch schon ein neoklassiches Wirtschaftsverständnis hilfreich ist um die Absurdität von Grenzen zu verstehen:
brand eins: Was wäre wenn alle Grenzen offen wären )
Leider fehlt das Wirtschaftsverständnis auch in der Linken. Auch hier wird vor allem im Sinnes eines Nullsummenspieles und von "Umverteilung" gedacht. Ich erinnere nur an den dümmlichen Slogans des "Aufbruchs": "Wir können uns die die Reichen nicht mehr leisten". Es ist wichtig zu verstehen, dass die Probleme des Kapitalismus nicht bloße Verteilungsprobleme sind. (Siehe auch: Warum wir uns "Die Reichen" noch leisten könnten.)
Wir brauchen jedenfalls eine Debatte darüber was "gesellschaftlich sinnvolle Arbeit" wäre und warum es davon heute so wenig gibt. Wir müssen die Menschen mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn dieses Systems konfrontieren.
Franz Schäfer, September 2018