Im Film Armageddon, in dem Bruce Willis die Welt vor der Zerstörung durch
einen Kometen retten muss in dem ein Team von Spezialisten eine Atombombe
auf eben diesem platziert, gibt es eine Szene in dem Rockhound (Steve
Buscemi) kurz den Nerven verliert und am Sinn der Aktion zu zweifeln
beginnt. Am Kometen angekommen will er die Mission
aufgeben und meint:
“ Guess what guys, it’s time to embrace the horror! Look, we’ve got front row tickets to the end of the earth!”
An diese Szene fühlte mich mich gestern wieder erinnert als Elisabeth K.,
eine der SprecherInnen von Attac, gestern wieder ihre Position zur EU zum
besten gab.
Die Situation in der die Welt und die EU momentan sind hat, am Vorabend
eines möglichen Brexits und angesichts des erstarkens von Rechtsextremen und
Nationalisten in ganz Europa und weltweit tatsächlich etwas apokalyptisches.
In dieser Situation dazu aufzurufen sich den Zusammenbruch der EU "erste
Reihe fussfrei" anzusehen, wäre ziemlich Irre. Und um fair zu sein Attac hat
das nicht explizit so gefordert. Aber die Position kommt dennoch auf das
selbe heraus. "Entzauberte Union: Warum die EU nicht zu retten und ein
Austritt keine Lösung ist" nennt sich das Buch von Attac das, mit Beiträgen
verschiedener AutorInnen die Positionierung Beschreibt. Der Titel beschreibt
die, aus Attac-Sicht, Ausweglose Situation. EU: nicht zu retten. Austritt?
Hilft auch nichts. Antworten auf die Frage: Was sollten wir dann jetzt tun
findet man in dem Buch nicht wirklich. Allgemeines orientieren auf soziale
Bewegungen, etc.. aber keine Lösung. Keine Antworten. Keine Strategien.
Was bleibt: Sich den Zusammenbruch, "erste Reihe, fußfrei" anzusehen.
Einziges Handicap: Wir sind eben nicht nur Zuseher sondern wir wären auch
Leidtragende einer solchen Entwicklung.
Elisabeth beschwerte sich dabei mehrmals dass ihr vorgeworfen wurde, dass
ihre Position rechts sein. Ist sie das?
Die EU, in der Form zu krisieren wie sie jetzt ist, ist definitiv nicht
rechts. Da gibt es genug das aus linker Sicht kritisiert werden kann, soll
und muss. Die Strukturen, Verträge und Bedingungen die wir in der jetztigen
EU vorfinden sind alles andere als ideal.
Zu sagen, dass die Problem sehr grundlegend sind und in den Gründungs- und
Verfassungsverträgen schon sehr viel falsch angelegt ist, ist ebenfalls nicht rechts. Tatsächlich ist der neoliberale Charakter dort schon
verankert. Zu sagen, dass die EU daher nicht wirklich reformierbar ist
sondern im am Allerbesten von Grund auf neu gegründet werden sollte ist
ebenfalls nicht rechts sondern ist eine sehr legitime Position der ich auch
im großen und ganzen zustimmen würde.
Das Problem mit der Attac Position ist eben dass sie nicht sagen: Ja, wir
haben eine fundamentale Kritik und daher denke wir dass wir die EU von Grund
auf neu machen wollen. Sie sagen: Die kritisieren alle die sich innerhalb
der EU politisch engagieren und schleudern ihr: Die EU ist nicht
reformierbar entgegen ohne auch nur eine Idee zu haben was ansonsten
getan werden könnte.
Damit stärken wir aber die Rechten: die sagen: Zurück zum Nationalstaat.
Auch wenn für die meisten Rechten ein Austritt nicht auf der Tagesordnung
steht (weil doch nicht mehr so populär) so fokusieren sie doch auf die
Stärkung der Nationalstaaten. Und hier stärkt die absurd Attac
Positionierung die Rechten. Die können dann sagen: Seht her, was wir euch
schon immer gesagt haben, EU funktioniert nicht, lass uns zurück zum
Nationalstaat gehen. Auch mit dem Zusatz "... und ein Austritt keine
Lösung ist", ist die Attac Positionierung eine Stärkung der Rechten und der
Rechtsextremen.
Rechts ist es den Menschen zu vermitteln dass wir keine internationalisierung der Politik brauchen.
“Entzaubert” kann nur etwas werden das vorher “Verzaubert” war. So: wenn es innerhalb von Attac tatsächlich unrealistisch positive Vorstellungen über die Verfasstheit dieser EU gab dann ist es wohl gut wenn die korrigiert wurden. Die meisten von uns Linken haben kannten diese Probleme schon lange - aber wir waren und sind: Für die Integration auch unter relativ ungünstigen Bedingungen. Attac hat beim “entzaubert” hier wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen.
Linke Politik muss immer internationalistisch sein und die Überwindung der
Nationalstaaten und Nationalismen muss immer ein zentrales Ziel sein
ansonsten ist es eben keine linke Politik.
Ja die Lage ist nicht einfach: Wir können uns die Ausgangslage in der die
Welt heute ist nicht aussuchen. Die Frage: Wollen wir die EU verändern
stellt sich nicht wirklich solange wir sie nicht Verändern können. Die Frage
ob wir sie von Grund auf neu bauen wollen ist auch nur relavant im
Zusammenhang mit: Können wir? Oder besser: Wie können wir. Alles andere ist
in etwa so relevant wie die Diskussion darüber, wieviele Engel auf einer
Nadelspitze balancieren können.
Und um soweit zu kommen müssen wir genug Menschen von der Idee begeistern,
so dass sie mit uns gemeinsam für dieses Ziel kämpfen. Wir brauchen daher
keine Resignation sondern postive und erkämpfenswerte Utopien. Von einem
sozialen, solidarischen, ökologischen Europa. Von einem Europa one Grenzen
im inneren und ohne Grenzen nach außen. Von globaler Bewegungsfreiheit für
alle Menschen. Von einer Welt mit einer solidarischen, kooperativen
Ökonomie.
Ich würde denken es wäre auch eine Aufgabe von Attac an der Entwicklung
solcher Utopien mitzuarbeiten anstatt denen die das tun ans Bein zu pinkeln.
Die EU hat durchaus massive Demokratiedefizite. Varoufakis meint sogar:
“Saying there is a deficit of democracy in the EU is like saying there is an oxygen deficit on the moon”
Andererseits gibt es aber auch postive Seiten: Die Transparenz des
EU-Parlaments ist durchwegs höher als die vieler nationaler Parlamente. Das
Problem ist eher, dass das EU-Parlament zuwenig zu sagen hat und dass der
gesamte Gesetzgebungsprozess zu komplex ist. Und er ist desshalb so komplex
weil die Nationalstaaten zuviele mitspracherechte haben. Wer von uns kennte
den schon die Minister anderer Staaten und, was noch wichtiger ist, kennt
ihre jeweilige Parteizugehörigkeit? Wer versteht wie die Kommission besetzt
wird? Demokratie ist ein Rückkopplungsprozess: Eine Regelschleife: Sind die
WählerInnen unzufrieden mit ihrer Lebenssituation wollen sie die Politik
ändern. Dafür müssen sie zuerst einmal die Chance haben zu verstehen wer den
eigentlich für die Politik verantwortlich ist. Ohne dises Wissen haben die
WählerInnen keine Chance durch ihre Stimmabgabe am richtigen Rädchen zu
drehen. Wenn die EU demokratischer sein soll muss sie einfacher sein -
und das kann nur bedeuten: Alle Macht dem Parlament.
Es gilt daher, egal ob man/frau die EU reformieren will oder ob man/frau sie
von Grund auf neu machen will: Wir brauchen mehr Integration um eine
funktionierende Demokratie zu erhalten.
Ich würde meinen es wäre auch eine Aufgabe von Attac über solche Dinge
nachzudenken. Wie denn eine EU aussehen würde die wir wollen. Die Frage ob
wir dann über eine Reform dorthin kommen können oder ob es einer Neugründung
bedürfte ist dann erst der zweite Schritt.
Als Linke wollen wir die Welt sehr grundsätzlich Ändern. Den Kapitalismus
überwinden. Ganz neue Spielregeln schaffen: Füre eine solidarische,
kooperative, ökologische und feministische Wirtschaft. Aber die Änderung
dieser Spielregeln ist im kleinen, nationalstaatlichen Rahmen nicht mögich,
denn dort sind die Staaten immer den Erpessungsmöglichkeiten durch den
"Standortwettbewerb" ausgeliefert. Zu hohe Umweltstandards? Zu hohe Steuern?
Dann bauen wir die Produktion eben im Nachbarland, ...
Wer also ein Interesse ander Überwindung des Kapitalismus und einer
grundlegend Anderen Wirtschaftsordnung hat, der/die kann kein Nationalist
sein. (Ausser man hat nicht verstanden, dass die internationale
Arbeitsteilung nicht einfach ignoriert werden kann...). Je größer die
politischen Einheiten, desto einfacher ist es die Spielregeln zu ändern.
“Für die Arbeiter ist natürlich alles günstig, was die Bourgeoisie zentralisiert” schreibt Marx in einem Brief an Engls.
Selbst eine relativ schlechte EU bietet also bessere Ausgangsbedingungen für
eine grundlengende Systemänderung als ein "guter" Nationalstaat.
Im Jahre 2004 war ich mit einer kleinen Gruppe (ca. 30) AktivistInnen in
ganz Europa aktiv um gegen Softwarepatente zu kämpfen und wir waren durchaus
erfolgreich: Erstmals in der Geschichte der EU wurde eine Direktive zur
Gänze abgelehnt. Wäre der selbe Erfolg auch möglich gewesen wenn jede/r von
uns individuell in konkurierenden Nationalstaaten gekämpft hätte. Wohl kaum.
Und die relativen Erfolge gegen ACTA und TTIP? Wären wohl auch nicht in dieser Form möglich gewesen.
Es ist schon sehr skuril, dass manche Linke die nicht müde Werden die Überwindung
des Kapitalismus zu predigen (o.k. nicht unbedingt Attac, aber andere "eu-kritische" Linke) und es als ihr wichtigstes und Vorrangigstes Ziel sehen den Kapitalismus zu beseitigen, dann anfangen von der Unreformierbarkeit der EU zu schwafeln.
Was die Reformierbarkeit von Attac betrifft: Ich bin skeptisch, aber ein Austritt dort ist auch keine Lösung. Vor einigen Jahren war es ein wichtiger Faktor in der Linken. Die Sommerakademien waren hochkarätig besetzt, waren ein guter Ort für Diskussion und Meinungsaustausch und trugen zur Bildung der Linken bei. Das scheint vorbei zu sein.
Mit oder ohne Attac: lasst uns positive Utopien entwickeln und vor allem: Dafür kämpfen.
Franz Schäfer, Novermber 2018
Siehe auch: