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Ein Leitfaden für frisch Politisierte: Eine Kategorisierung der Linken

- bzw jener die sich dafür halten.

Dienstag 20. August 2019, von mond

Das Spektrum der Linken, bzw. jener die sich dafür halten ist relativ breit. Immer wieder
gibt es Versuche eine neue Linke Kraft aufzubauen. Das scheitert oft einerseits an
einem Verständnis wie eine solche Organisation aufgebaut sein müsste aber auch daran, dass nicht immer sofort klar ist welche Positionen grundlegend Inkompatibel sind.

Klassische Kategorisierungen (Reformistisch vs. Revolutionär, Kommunistisch vs. Anarchistisch vs Trotzkistisch, etc.. ) sind heute weniger hilfreich. Sie sind nützlich um die historischen Wurzeln von Organisationen zu beschreiben aber oft nicht um die aktuelle Orientierung der Mehrheit der AktivistInnen. Oft bestehen auch große Unterschiede in der Definition die diese Gruppen diesen Kategorisierungen selbst geben.

Angesichts der immer spürbar und sichtbar werdenden Probleme des Kapitalismus gibt es einen Zustrom von neuen AktivistInnen zu Linken Gruppen. Eine Einordnung der Motive dieser Menschen ist einerseits Hilfreich, ebenso wäre es wohl für die Neuankömmlinge gut wenn sie sich ein Bild über das bestehende Angebot machen könnten. Dazu diese
Kategoriesierung. Ich will dabei auch auf die bestehenden Kategorisierungen eingehen um deren Definition zu durchleuchten.

Reformismus vs. Radikal

Reformismus ist ein oft benutzter Vorwurf den selbsternannte RevolutionärInnen gerne erheben. Sehr oft zu unrecht. Natürlich gibt es die Sozialdemokratie in der die Meinung vorherrscht: Der Kapitalismus ist eh im großen und ganzen OK und das einzige was zu tun ist wäre es die ArbeiterInnen in Gewerkschaften zu organisieren damit sie genug Verhandlungspostion haben um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu organisieren. Und dort wo die Leute sind denen die Einsicht fehlt, dass im System sehr viel und sehr Grundlegendes falsch läuft ist der Vorwurf durchaus berechtigt. Auf die allermeisten AktivistInnen in linken Gruppen trifft er aber nicht zu. Auch kleine Veränderungen und Reformen sind wichtig: sie machen Mut, sie verbessern die Lebensbedingungen der unmittelbaren Betroffenen und sie sind oft nützlich als Ausgangspunkt für weitergehende Systemveränderungen. Selbst dort wo sie das nicht sind: Sie zeigen dass wir im Kampf gegen das System solidarisch mit den Betroffenen sind.

Wer also auf eine Gruppe trifft in der sich niemand für soziale Themen interessiert und ständig nur gegen Reformisten gewettert wird ist vermutlich auf eine relativ obskure Sekte gestoßen. Umgekehrt: Radikal bedeutet im wörtlichen Sinne
die Dinge an der Wurzel fassen. Das setzt voraus, dass man die Wurzel kennt. Leider fehlt vielen Gruppen die sich als besonders "revolutionär" sehen die theoretische Arbeit und ihr "radikal" sein beschränkt sich auf daher möglichst drastisch und kompromisslos zu sein aber von der Wurzel sind sie oft sehr weit entfernt.

Populismus

Im Kampf um WählerInnenstimmen müssen Wahlwerbende Parteien immer auch darauf schauen, dass ihre Botschaft bei den WählerInnen ankommt. Das führt dann oft dazu, dass man sich bestimmte Wahrheiten nicht mehr so laut auszusprechen getraut und bestimmte Themen ausklammert und nur ja niemand abzuschrecken. Wie wie weit das gehen soll und darf darüber lässt sich diskutieren. Extrem problematisch wird es dort wo das Gegenteil von dem gefordert wird was man eigentlich will: Nationalismus, ein kokettieren mit Rassismus, etc.. In einer Gesellschaft in der rechts-aussen Hetzblätter wie Krone und "Österreich" die öffentliche Meinung prägen, kommt man damit weiter. Am Ende hat das aber dann nichts mehr mit Links zu tun. Auch die Mitglieder die bereit sind bei so etwas mitzumachen haben dann meist schon die rechten Standpunkte verinnerlicht. Beispiele sind z.b. die "Liste Pilz" oder die "KP-Steiermark/Graz".

Die Reichen Bestrafen vs. Die Welt besser machen

Was motiviert AktivistInnen sich in linken Gruppen zu organisieren. Es gibt hier zwei sehr unterschiedliche Zugänge. Auf der einen Seite steht eine rationale Erkenntnis, dass da etwas falsch läuft und auch Frust darüber, dass niemand daran arbeitet die Situation zu verbessern. Ziel ist ein gutes System: Ein gutes Leben für Alle. Auf der anderen Seite gibt es AktivistInnen die sind vor allem doch Hass "auf die da oben" getrieben. Anstatt das System verantwortlich zu machen werden einzelne Akteure oder Gruppen für die Probleme verantwortlich gemacht. Und mit dem entsprechenden Hass kommen dann auch Vernichtungsphantsien, da werden Facebookpostings mit einer Guillotine geteilt, etc, etc, man denkt "Mithaie zu Fischstäbchen" wäre ein lustiger Wahlspruch, etc,.. Auch in Parteien in denen Marxismus als Grundlage dient und in denen vermittelt werden sollte, dass es nicht die Schuld einzelner ist sondern, dass das System als Ganzes das Problem ist, finden sich dennoch viele Leute die nicht von Ärger über das System sondern von Hass auf dessen ProtagonistInnen getrieben sind.

Ich denke es ist an dieser Stelle wichtig zu verstehen: Das hat nichts mit der Grundsätzlichen Frage zu tun ob Gewalt ein notwendiges Mittel zur Veränderung ist. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus ist jedenfalls Beleg dafür, dass diese wohl in bestimmten Fällen notwendig sein kann. Und natürlich gibt es jene, die heute in Positionen sind in denen sie sehr Wohl auch eine Wahl hätten aber die sehr bewusst vom Unrecht und Leid profitieren und deren Platz ganz sicher am besten hinter Gitterstäben wäre. Aber in einer Welt in der die Produktion sinnvoll organisiert wäre, wäre ein gutes Leben für Alle möglich - auch für jene die heute reich sind. Ohne eigene Yacht aber trotzdem mit feier Bildung und einem funktionierenden Gesundheitsystem.

Eine politische Ausrichtung die auf Bestrafung und Rache statt auf Verbesserung der Verhältnisse orientiert ist sicherlich nicht links. Darüber hinaus ist das Ganze auch taktisch schlecht: Es führt dazu dass die Menschen sich vor uns fürchten anstatt uns zu unterstützen.

Machnmal ertappe ich mich selbst dabei: Dass Zorn in mir Hochsteigt. Wenn z.B. irgendwelche MillionäreInnen wieder mal dabei ertappt werden wie sie direkt an Rechtsaussen oder Rechstextreme Partzein finanzieren, etc...etc.. Und ich werde auf jeden Fall eine Flasche Sekt aufmachen wenn Leute wie Grasser endlich im Hefen sitzen. Ich denke diese Emotionen sind verständlich und legitim. Aber wenn das die primäre Motivation ist, wenn Leuten wichtiger ist, dass "die Reichen" bestraft werden als irgend etwas besser zu machen dann ist man am Holzweg.

Analytische Tiefe oder der Schein davon

Wer sich Anhand einer der vielen Probleme des Kapitalismus frisch politisiert hat, hat verstanden “So wie bisher kann es nicht weiter gehen” - Meist fehlt aber dann noch ein tieferes Verständnis für den Umfang und die Ursachen der Probleme. Es ist daher eine der Wohl wichtigsten Aufgaben linker Organisationen hier behilflich zu sein und dieses Verständnis zu erarbeiten. Die Unterschiedlichen Probleme und Felder in Beziehung zu einander zu setzen. Umweltschutz, Soziales, Feminismus, Anti-Kapitalismus, Anti-Rassismus, etc.. Und das natürlich nicht als Einbahnstraße: Wir erklären dir die Welt sondern jede/r neue bringt auch neue Erfahrungen, Einsichten und Erlebnisse mit ein die Eingeordnet und Eingearbeitet werden müssen.

Natürlich gibt es für alle Probleme des Kapitalismus immer auch kurze, einfache und falsche Antworten. Die Rechten leben davon falsche Antworten zu geben aber nur weil sich eine Gruppe als "links" versteht ist das noch keine Garantie für richtige Antworten. Verkürzte Kapitalismuskritik ist oft ein Problem. "Die Reichen sind an allem Schuld.", "Das Geldsystem ist schuld.", "Wir brauchen Schwundgeld", "Wir brauchen Festgeld", "Die Menschen sind einfach zu Gierig", "Es braucht nur mehr Verteilungsgerechtigkeit", etc.. Viele Antworten klingen einleuchtend aber leiten entweder in die falsche Richtung oder blenden zumindest sehr viel von dem aus was sonst noch bedacht werden muss.

Viele, sich selbst als "links" verstehende Organisationen sind bei ihren Analysen hier auch stecken geblieben und begnügen sich mit einfachen und oft falschen Antworten. Das Ganze gibt es dann noch in einer populistischen Variante: Wo erklärt wird, dass man das ja so machen müsse weil es die Leute sonst nicht verstehen.

Bei manchen dieser Organisationen gibt es auch einen mehr oder weniger ausgeprägten Anti-Intellektualismus. "Helfen statt Reden", "Kämpfen statt theoretisieren", etc.. Zeigt eine Organisation eine solche Haltung ist man ziemlich sicher am falschen Platz: Wer meint schon alles zu Wissen und Verstanden zu haben, hat wohl gar nichts verstanden. In einer sich rasch verändernden Welt gibt es nebenbei Bedarf die Positionen die noch vor kurzem sinnvoll gewesen waren bald wieder neu zu evaluieren.

Es gibt natürlich durchaus auch das andere Extrem: Organisationen die wortgewaltig und oft in kaum verständlicher Sprache verstecken, dass ihre Erkenntnisse letztlich recht oberflächlich sind. Das ganze lässt sich aber dann doch schnell entzaubern: Man/Frau muss nur nachfragen was den damit gemeint ist und was sich daraus für Handlungsmaximen ableiten. Ein Beispiel für so eine Gruppe wäre z.b. der "Gegenstandpunkt". Der kritisiert alle andere Gruppen: manchmal mit durchaus richtigen Argumente aber oft mit Straw Man Methoden: Es werden Positionen kritisiert, die die anderen niemals eingenommen haben, die aber unterstellt werden. Daneben fehlt der Gruppe jegliche konsistente eigene Positionierung: Was für die Gruppe praktisch ist, weil damit immer leicht ein "Gegenstandpunkt" eingenommen werden kann.

Orientierung auf Wahlen

Manche Gruppen spezialisieren sich auf gewisse Themen, manche auf theoretische Arbeit, manche auf Agitation. Das ist grundsätzlich OK. Interessant ist welche Position sie grundsätzlich zu Wahlen und Parlamentarismus einnehmen. Das Spektrum reicht hier von: Wahlen sind das wichtigste, weil man nur so zum notwendigen Einfluss kommt um etwas zu verändern zu können, bis hin zu: Wahlen sind nutzlos oder schädlich weil sie uns zwingen uns an das System anzupassen und die einzige Chance liegt in entweder einer Revolution oder in der Anarchie, etc.. Zwischen den beiden extremen liegt ein vernünftiger, pragmatischer Zugang: Wahlen sind tatsächlich wichtig, die Erlangung von Mandaten und das maximieren von Stimmen darf aber dabei nicht das einzige Ziel sein. Siehe auch: Populismus. Wichtig ist es Wahlen als Zeiten erhöhter politischer Aufmerksamkeit zu sein und einen Wahlkampf vor allem auch dafür zu nutzen um grundlegende gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen.

Einige der Gruppen sind der Meinung dass Wahlen zwar wichtig sind aber eine Linke Politik am ehesten zu schaffen ist wenn man innerhalb der traditionellen Sozialdemoratischen Parteien agitiert und versucht diese auf einen Antikapitalistischen Kurs zu bringen. Eine grundsätzlich legitime Position die ich aber nicht teile.

Antiimp vs. Antideutsch

Zwei extreme Ausrichtungen die sich historisch diametral gegenüber stehen, am Ende des Tages aber doch einiges gemeinsam haben. Eines zumindest: Einen richtigen Ansatz soweit ins extrem verzerrt, dass dieser jenseits aller Vernunft liegt. Die Wahrheit liegt nicht immer in der Mitte. In diesen Fällen aber schon.

Selbst ernannte Anti-Imperialisten gehen von einem binären Weltbild aus: Gut und Böse. Da gibt es, vor allem geopolitisch diejenigen die auf der "richtigen" Seite stehen und um jeden Preis unterstützt werden müssen und dagegen stehen die "Feinde" die um jeden Preis bekämpft werden müssen. Das Motto ist: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund". Differenzierte Sichtweisen sind nicht ihr Ding. Die von den Anti-Imperialisten ausgemachten Feinde sind "die Amerikaner" und "Israel". Da kann es dann auch schon mal vorkommen, dass man gemeinsam mit HolocaustleugnerInnen und anderen Rechtsextremen Veranstaltungen macht.

Auf der anderen Seite stehen die Antideutschen. Dort gilt es in jedem Falle auf der Seite von Israel zu stehen. Auch wenn dort eine extrem rechte Regierung an der Macht ist: Wer Kritik an Israels Regierung, z.b. der Siedlungspolitik, übt wird immer des Antisemitismus verdächtigt. Und natürlich stimmt es: Sehr oft verstecken Rechte ihren Antisemitismus hinter "Israel Kritik". Umgekehrt muss aber Kritik an rechter Politik immer möglich sein. Wo hier die Grenze ist, ist
nicht immer leicht heraus zu finden, aber sehr hilfreich dafür ist der 3D Test. Ein relativ neues Phänomen ist, dass 0Anti-Islamischer Rassismus sich oft hinter Anitdeutschen Argumenten versteckt. MuslimInnen werden unter Antisemitismus-Generalverdacht gestellt.

Beispiele für Antiimp Gruppen sind AIK und PdA/Kominform. Anti-Muslimischer Rassismus hat sich, unter anderem, im Umfeld der Pilz-Liste gesammelt.

Sich mit strukturellem Antisemitismus und Verkürzte Kapitalismuskritik zu beschäftigen ist allerdings eine extrem wichtige Aufgabe. Es bedeutet letztlich, versuchen zu verstehen, warum zwar viele Menschen sehen, dass etwas schief läuft aber am Ende zu falschen Schlüssen kommen, was zu tun ist.

Nationalismus vs Internationalismus

Die zentrale Frage ist, wie weit die Gruppen verstanden haben dass globale Problem auch globaler Politischer Lösungen bedürfen und wie sehr Nationalismus und nationalstaatliches Konkurrenzdenken ein Hindernis ist solche Lösungen zu finden. Internationalismus (also die Erkenntnis dass echte Veränderung nur global möglich ist) war in der Linken früher unumstritten. Heute finden sich leider viele Gruppen die das nicht mehr verstehen. Corbyns Pro-Brexit Linie ist hier nur eines der sehr unrühmlichen Beispiele. Die AIK/PdA/Kominform verbrennen inzwischen, vermutlich unter dem Applaus von FPÖ-WählerInnen, EU-Fahnen.

Feminismus und Anti-Rassismus

Last but not least: Anti-Rassismus und Feminismus sind unverzichtbare Grundlagen jeder linker Politik, dennoch unterscheiden sich die Gruppen darin wie ernst sie dieses Thema nehmen. Feminismus und Anti-Rassismus beschäftigen sich damit Unterdrückungs- und Ausgrenzungesmechnismen zu verstehen und diesen entgegen zu wirken. Dieses Verständnis ist elementar wichtig für jegliche Gesellschaftsveränderung. Offener Rassismus und Anti-Feminismus sind daher in der Linken zu recht verpönt. Man findet das aber leider durchaus - mehr oder weniger gut getarnt aber duchaus. Da wird an der einen Stelle gegen das Binnen-I und "political correctness" polemisiert und Anti-Islamischer Rassismus wird hinter einer vorgeschobenen "Religionskritik" versteckt, etc.

Franz Schäfer (Mond), August 2019


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