Israel, Palestina, Antisemitismus und Linke
Eigentlich wollte ich dazu nichts schreiben. Ich bin auch kein Nahost-Experte. Aber das Thema zieht immer weitere Kreise. In der Innenpolitik und in der Klimabewegung, etc.. Wie es scheint haben doch viele Menschen in meinem politischen Umfeld schwierigkeiten sich hier entsprechend vernünftig zu positionieren. Dabei sollte das doch nicht all zu schwer sein: Einen humanistischen, einen menschlichen Standpunkt zu finden.
Zuerst mal die Eckpunkte:
- Der barbarische Terror der Hamas ist aufs schärfste zu Verurteilen. Solche Verbrechen sind durch rein gar nichts zu rechtfertigen. Das ist kein "Befreiungskampf" und kein legitimer Widerstand. Nicht einemal annähernd.
- Dass mit diesem bestialischen Terror eine entsprechende Eskalation der Situation einhergehen würde wussten die Terroristen. Das haben sie wohl nicht nur in Kauf genommen sondern war dann offensichtlich Ziel der Aktion. Lupenreiner Terrorismus.
- Ergo: Wer jetzt auf weitere Eskalation setzt tut genau das was die Terroristen erreichen wollten.
- Wer verhindern will dass so etwas wieder geschieht muss versuchen zu verstehen wie es dazu kommen konnte. Welche Politik den Nährboden für diesen Terror bereitet hat. Darüber nachzudenken hat nichts mit "Aufrechnen" und "Relativieren" zu tun. Ja es mag Menschen geben die gerne Relativieren möchten. Aber es gibt auch genügend die Verstehen wollen. Nicht alles was dazu gesagt wird und gedacht wird mag richtig sein. Aber wenn wir verstehen wollen müssen wir darüber sprechen und nachdenken können und dass das als "Relativieren" ausgelegt wird. Wer nicht über die Ursachen nachdenken will, der/die will offensichtlich auch nicht verhindern dass so etwas wieder geschehen kann. In diesem Sinne ist es mehr als bloß kontraproduktiv jegliche Kritik an Israels Politik als Antisemitismus abzustempeln. Allerdings gilt auch:
- Es gibt in dieser Welt noch extrem viel Antisemitismus. Kritik an Israel wird tatsächlich sehr oft benutzt um diesen Antisemitismus zu transportieren.
- Ein ähnliches Phänomen gibt es aber auch in umgekehrter Form: Solidarität mit Israel wird manchmal auch von jenen proklamiert denen es vor allem darum geht ihren Anti-Islamischen Rassismus ausdruck zu verleihen.
- Das Relativieren drückt sich oft in Form eines "bothsidesism" aus. Wer die Verbrechen auf der einen Seite erwähnt hört dann sofort, aber die andere Seite. Diese Form des Relativierens ist nicht hilfreich. Umgekehrt:
- Wer Solidarität mit dem Leiden der einen Seite bekunden will, und angesichts des Ausmasses des Elends und des Horrors müsste man/frau schon extrem psychopatische Züge haben das nicht zu tun, der/die soll das doch in einer Form tun die die Menschen die ähnliche Empfindungen für das Leiden auf der anderen Seite haben nicht vor den Kopf stößt. Nationalfahnen zu schwingen ist momentan eher unangebracht. Nationalfahnen sind generell unangebracht.
- Als "Lackmustest": Wer, aus verständlichen Gründen darüber nach denk wie Solidaritätsbekundungen mit dem Leid auf einer Seite aussehen sollten, der/die soll sich kurz in die Lage einer Person versetzen die auf der anderen Seite jetzt um das Leben der eigenen Kinder bangen muss.
- Die meisten Menschen die in dieser Region leben sind relativ jung und haben mit dem was vor 50, 80 oder 3000 Jahren dort passiert ist wenig bis gar nichts zu tun. Niemand hat es sich ausgesucht dort geboren zu werden. Niemand hat sich ausgesucht mit einer bestimmten Hautfarbe geboren zu werden. Niemand hat es sich ausgesucht in eine bestimmte Religion hineingeboren zu werden.
- Wir brauchen eine Lösung die allen Menschen dort ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Würde erlaubt. Das kann unter den gegebenen Umständen nur eine Zwei-Staaten Lösung sein.
- Es muss klar sein dass Israel in dieser Situation das Recht hat sich zu verteidigen. Die Drahtzieher auszuforschen und vor ein Gereicht zu stellen. Aber es ist nicht legitim hier einen Rachefeldzug zu starten. Zigtausende zivile Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung werden wohl kaum dazu beitragen diesen Konflikt zu deeskalieren sondern bereiten nur den Boden auf dem der weiterer Terror gedeiht.
- Wem die Sicherheit von Jüdinnen und Juden tatsächlich ein Anlegen ist der kann kein Interesse an weiterem Terror haben.
- Ganz offensichtlich war die Politik Israels in den letzten Jahrzehnten nicht gerade auf Deeskalation ausgelegt. Israel ist einer der hochgerüstetsten Staaten der Welt und hat die Unterstützung der größten Militärmacht der Welt. Daneben Menschen die in bitterer Armut in einen Freiluft-Gefängnis leben. Dazu noch die aggressive Siedlungspolitik, etc. Weltweit protestierten und protestieren viele Menschen und insbesondere auch viele Jüdinnen und Juden gegen diese Politik. Wenn wir einen dauerhaften Frieden wollen dann müssen sich diese Verhältnisse ändern. Das ist aber nicht nur eine Aufgabe an der wir alle Mitarbeiten müssen. Insbesondere:
- Wäre es wichtig für alle Staaten jetzt Flüchtlinge aus diesem Gebiet aufzunehmen. Dieser Planet ist groß genug für uns alle.
Die Lage ist kompliziert, aber auch nicht: Wer verstehen will was zu tun ist muss aufhören die Menschen in Religionen und Nationen zu teilen sonder muss zuerst einmal Menschen sehen und ihr Ängste und Hoffnungen ihr Leid und ihre Perspektiven. Es braucht eine Humanistische und damit auch eine kommunistische Perspektive:
"Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." -- Marx
Franz Schäfer (Mond), Oktober 2023
Edit: Update 2.11: Excellentes Interview: taz: Moshe-Zimmermann über den Nahost Krieg