Die kapitalistische Produktion hat sich in den letzten Jahren zunehmend gewandelt. Wir sind auf dem Weg in die Wissensgesellschaft aber stecken leider noch im Wissenskapitalismus fest. André Gorz hat es in einem Artikel so ausgedrückt:
„Die Produktivität der Unternehmen hängt weitgehend von den kooperativen und kommunikativen Kompetenzen der Akteure ab, ihrer Fähigkeit, eine Situation zu überblicken, schnell zu urteilen und zu entscheiden, für neue Ideen offen zu sein, neue Kenntnisse zu erwerben. Die Produktion und Produktivität beruhen auf "Leistungen", die nicht mehr mit dem Maßstab der Arbeitszeit messbar sind. Sie mobilisieren ein "Wissen", das sowohl aus Fachkenntnissen als auch aus informellen persönlichen Fähigkeiten besteht. Diese Fähigkeiten lassen sich nicht in Ausbildungskursen erwerben. Man erwirbt sie vielmehr in spielerischen, künstlerischen, sportlichen Aktivitäten vor und außerhalb der Arbeit und entwickelt sie dann innerhalb der Arbeit weiter. Es kommt immer öfter zu einer Synergie zwischen Arbeit und persönlicher Entwicklung. Die Produktivität der unmittelbar produktiven Arbeit hängt von der Entfaltung persönlicher Fähigkeiten ab, d.h. von der "Selbstentwicklungsarbeit", die eine Person als Selbstzweck übt. Diese Selbstentwicklungsarbeit ist im Leben von vielen - bald von den meisten - zeitaufwändiger und für sie selbst wichtiger als die geleistete unmittelbare Produktionsarbeit.“ André Gorz: Welches Wissen? Welche Gesellschaft?
In der externen Expansion stößt der Kapitalismus heute auf die Begrenztheit des Globus und drängt daher vermehrt in die „innere Expansion“. Immer mehr Bereiche unseres Lebens und unseres Seins werden einerseits zur Ware und andererseits zur Produktivkraft. Unsere Kreativität, unser Wissen, unsere Kultur unsere Träume und unsere Tränen.
All das ist nicht messbar und nicht wägbar. Kreativität ist nicht abzählbar wie die Anzahl der Werkstücke, die pro Stunde über ein Fließband laufen. Unternehmen müssen daher zunehmend auf MitarbeiterInnenmotivation setzen. Studien belegen, dass Geld kein besonders geeignetes Mittel zur "Förderung" von Kreativität
ist. Irgendwie müssen es die Unternehmen schaffen, die MitarbeiterInnen zur Selbstausbeutung zu motivieren. Dass das für die arbeitenden Menschen dennoch eine Belastung ist, dürfte den UnternehmerInnen klar sein. Ein wichtiger Punkt in der ideologischen Schulung ist daher die:
Work-Life Balance
Arbeit und Leben soll in einem harmonischen Gleichgewicht stehen. Dass Arbeit und Leben dabei sofort getrennt werden ist eine der unhinterfragten Prämissen dabei. Die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit wird als gegeben vorausgesetzt. Bei Marx heißt es dazu:
„Worin besteht nun die Entäußerung der Arbeit?
Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird. Die äußerliche Arbeit, die Arbeit, in welcher der Mensch sich entäußert, ist eine Arbeit der Selbstaufopferung, der Kasteiung. Endlich erscheint die Äußerlichkeit der Arbeit für den Arbeiter darin, daß sie nicht sein eigen, sondern eines andern ist, daß sie ihm nicht gehört, daß er in ihr nicht sich selbst, sondern einem andern angehört. Wie in der Religion die Selbsttätigkeit der menschlichen Phantasie, des menschlichen Hirns und des menschlichen Herzens unabhängig vom Individuum, d. h. als eine fremde, göttliche oder teuflische Tätigkeit, auf es wirkt, so ist die Tätigkeit des Arbeiters nicht seine Selbsttätigkeit. Sie gehört einem andren, sie ist der Verlust seiner selbst.
Es kömmt daher zu dem Resultat, daß der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier. Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische.“ --- Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW40:514
Da die Gestaltungsmöglichkeiten im „Work“-Bereich gering sind, kann die Forderung nach einer „Work-Life Balance“ übersetzt werden als: Erholt euch gut in eurer Freizeit, damit ihr dann auch schön brav fit seid für den Job. Man fühlt sich erinnert an Antonio Gramscis Untersuchungen über „das Zusammenwirken von Massenproduktionsweise, privater Lebensführung und staatlicher Kampagne um Moral (Puritanismus/Prohibition)“
[1] in „Amerikanismus und Fordismus“. Was dem Taylorismus der Puritanismus, ist dem Post-Fordismus die harmonische Work-Life Balance.
In manchen Strömungen dieser Lehre wird aus der „Work-Life Balance“ gleich eine Dreiteilung abgeleitet: Persönliches, Privates und Berufliches soll dort in heiliger Dreieinigkeit in Einklang gebracht werden. Die Trennung des Life-Bereichs in „Persönliches“ und „Privates“ wirkt dabei zwar etwas willkürlich [2], erfüllt aber gleich einen dreifachen Zweck:
- Die ebenfalls willkürliche Trennung Work / Life gerät so etwas aus dem Blickfeld,
- Probleme im Life-Bereich lassen sich dort ebenfalls als aus der Balance geratene Bereiche darstellen und
- der (protestantische) Individualismus, der als ideologische Untermauerung des Kapitalismus dient, erhält hier eine entsprechende Repräsentation.
Ausgehend von der Vorstellung einer „Balance“ lassen sich, meist mit mehr oder weniger Esoterik aufgepäppelt, die verschiedensten Elemente und Funktionen in ein „ausgewogenes“ Verhältnis setzen. Der generelle Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital wird verdeckt. Probleme erscheinen in dieser Logik als individuelle „Unausgeglichenheiten“ der einzelnen Individuen, für die diese selbst verantwortlich gemacht werden bzw. sich selbst verantwortlich machen sollen. Arbeitslos? Selber schuld. Schau, dass du deine „Work-Life Balance“ wieder in Ordnung bringst...
Zeit- und Selbstmanagement
Tipps und Tricks wie man/frau sich die Zeit einteilen kann, an wichtige Termine erinnert wird, etc.. sind durchwegs nützlich. Problematisch wird das Selbstmanagement aber dort, wo darüber ein ideologisches System konstruiert wird.
Handlungen sollen Zielen zugeordnet sein. Die Handlungen werden terminisiert, die Ziele setzt man/frau sich „ergebnisorientiert“ und über allen Zielen thront in der Zielsetzungspyramide noch eine „Vision“. Um jeden Verdacht der Ideologisierung zu beseitigen, wird betont, diese „Vision“ könne ja im Prinzip alles mögliche sein: Privates, Berufliches, ...
Ganz so ideologieneutral ist das Ganze natürlich bei weitem nicht. Dazu müssen wir wieder einen Blick auf die unausgesprochenen und unhinterfragten Prämissen dieses Modells werfen:
Ganz selbstverständlich wird auf das kapitalistische Leistungsdenken rekurriert. Wer aus 100 Euro binnen kurzer zeit 110 machen will und machen muss, der/die ist ständig auf Expansionskurs. Was aber, und diese Gedanke passt so gar nicht zum neoliberalen Leistungsdenken, wenn meine Vision z.B: Zufriedenheit wäre. Wäre diese Vision nicht gerade erst durch die Abwesenheit von „Zielen“ definiert? So schnell lässt sich der ideologische Kern diese Methodik bloßstellen.
Die Formel, nach der die „Bedürfnisse der Menschen stets unendlich sind“, ist auch eine der unhinterfragten Basisannahmen der neoklassichen Volkswirtschaftslehre und damit eine Basis des neoliberalen Kapitalismus. Mit einem Megaaufwand an „Marketing“ werden uns immer neue Ziele „vorgeschlagen“ denen wir dann, so wie die Esel hinter der Mohrrübe an der Angel hinterhertraben [3].
Womit wir zur zweiten unausgesprochenen Komponente hinter diesem Modell kommen: Das Modell mag unabhängig von den zu Grunde liegenden Zielsetzungen und Visionen sein. Im entfremdeten Berufsleben werden diese aber im Allgemeinen vom Käufer unserer Arbeitskraft vorgegeben.
Wie eingangs erwähnt: Der neoliberale Kapitalismus will nicht bloß unsere effizient genützte Arbeitszeit, sondern verlangt zunehmend auch unser innerstes Selbst:
„Kommunikationsdesign“
Ein bewusster und reflektierter Umgang mit Kommunikation und insbesondere der eigenen Kommunikation ist absolut wünschenswert. Seminare, in denen wir über die Grundlagen dieser Kommunikation lernen sind in höchstem Maße zu begrüßen. Aber gerade auf diesem Gebiet lauern viele ideologische Fallstricke.
Auch in diesem Bereiche gilt: Die Methode kann nicht als „neutral“ und unabhängig von den im kapitalistischen Berufsumfeld vorliegenden Bedingungen betrachtet werden. Die Grenze zwischen „bewusster Kommunikation“ und Manipulation ist ziemlich fließend.
Ist das Lächeln der Bankangestellten aufgesetzt oder ehrlich? Der Tipp des Verkäufers doch mal jene Sorte zu probieren ernst gemeint oder aalglatte NLP-Rhetorik?
Zusammen mit der Tendenz des modernen Kapitalismus unser ganzes Leben zunehmend zur Ware zu machen, wirken die Ideen von NLP und „Kommunikationsdesign“ extrem bedrohlich: Wo finden wir noch ehrliche menschliche Regungen und wie viel von der Kommunikation mit unseren Mitmenschen ist schon in der einen oder der anderen Form dem Ziel der Profitmaximierung untergeordnet?
Statt „Schalter geschlossen!“ soll es heißen: „Bitte wenden sie sich an einen geöffneten Schalter“. Ein harmloses Beispiel aber MitarbeiterInnen werden heutzutage ja nicht „Entlassen“ sondern „Freigesetzt“, um nur eines von vielen Beispiele für den euphemistischen New-Speak des Neoliberalismus zu zitieren. Warum nicht einfach: „Schalter doppelplus ungeöffnet?“ Orwell lässt grüßen.
Wer aber seine/ihre Kommunikation optimal kontrollieren will, darf nicht bei den Äußerlichkeiten stecken bleiben: Zu viele versteckte Körpersprachlichkeiten können einen nur zu leicht verraten: Wer nicht selbst glaubt, dass 2 mal 2 gleich 5 ist der/die kann das auch nicht wirklich überzeugend kommunizieren.
Die oben zitierten Analysen von Marx aus den „Grundrissen“ verblassen angesichts solcher Horrorvisionen. Aber gerade daraus speist sich auch Hoffnung auf Widerstand:
„Das geradezu totalitäre Vorhaben des Kapitals, sich der Menschen bis in ihre Denkfähigkeit hinein zu bemächtigen, und der Widerstand, den letztere gegen diese Instrumentalisierung ihrer selbst leisten, sind eine neue, zugleich diffuse und radikale Form des Klassenkampfs. Sie entwickelt sich dort, wo Wissen erzeugt, geteilt, gelehrt, bewertet, privatisiert oder vorenthalten wird. Dort, wo das Kapital es dadurch beherrscht, dass es mit Wissen den Menschen zugleich auch Unwissen und ein Bewusstsein von Unzulänglichkeit vermittelt: in den Betrieben, im Bildungs- und Ausbildungswesen.“ --- André Gorz: Vom totalitären Vorhaben des Kapitals
Wird die Zeit kommen in der wir uns über Wutausbrüche oder Unhöflichkeiten freuen können, weil das dann wenigstens eine ehrliche menschliche Regung zeigt?
Fazit
Betriebliche Weiterbildung ist sinnvoll und notwendig. Ein reflektierter Umgang mit der eigenen Kommunikation ebenfalls. Was aber heute an Schulungen in diesem Bereich angeboten wird, dient ganz klar auch der neoliberalen Ideologievermittlung.
Franz Schäfer, November 2007