Herr Biedermann, der Eigentümer eines Ladens ärgert sich über seinen Sohn, der ihm beim Spielen eine Glasscheibe zerschlagen hat. Doch die Passanten sind der Meinung, dass sei nicht so schlimm, denn wie könnten sonst die Glaser überleben, wenn nie eine Scheibe kaputt gehen würde. Man müsse dem Jungen dankbar sein, denn er habe dadurch die Wirtschaft belebt.
Bastiat bemüht sich in seinem Buch "Was man sieht und was man nicht sieht" dieses Rätsel aufzuklären. Er argumentiert, dass hier übersehen wird, dass ja derjenige der die zerbrochen Scheibe bezahlen muss dieses Geld nicht mehr für andere Dinge (z.B. einen neuen Anzug) ausgeben könne. Damit meint Basitat das Rätsel gelöst zu haben. Glasscheiben zerschlagen ist als keine wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit.
Was uns Bastiat aber verschweigt und was auch heute noch von den wirtschaftsliberalen nicht unbedingt an die große Glocke gehängt wird: Wenn die zerbrochenen Fensterscheiben auch nicht unbedingt gut für die Wirtschaft sind so sind sie auch nicht schlecht. Im einen Fall macht der Glaser ein Geschäft und im anderen Fall eben der Schneider und wenn der Glaser und der Schneider beide ihre Angestellten ausbeuten dann machen sie auch Profit mit der Sache. In den wirtschaftlichen Kenndaten (Bruttosozialprodukt) ist ebenfalls kein Unterschied zu merken. Ob sich die Wirtschaft eines Landes damit beschäftigt viele zerschlagene Scheiben zu reparieren oder ob die Menschen bessere Kleider tragen, bessere Schulen und Krankenhäuser haben macht aus Sicht dieser Zahlen keinen Unterschied. Profit lässt sich mit beiden Dingen machen. Im einen Falle haben die Menschen wenigstens etwas davon, im anderen Falle nicht.
Aus sicht der Unternehmer haben natürlich die zerbrochenen Scheiben einen Vorteil: während der Bedarf an neuen Anzügen natürlich beschränkt ist, kann der Bedarf an neuen Fenstern, sofern die alten nur rasch genug kaputt geschlagen werden, praktisch beliebig gesteigert werden. Krieg und Zerstörung, so steht es schon im Manifest, sind für den Kapitalismus ein probates Mittel um trotz Überproduktion das System weiter am laufen zu halten:
- Communist Manifesto
Es genügt, die Handelkrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre - die Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zuviel Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt. Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums. Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen. - Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert. — Aus dem kommunistischen Manifest, Karl Marx und Friedrich Engels, 1847
Neben Krieg gibt es aber noch viele weitere Möglichkeiten unnütze Produktion aufrecht zu erhalten. Generell können wir aus Bastiats Gleichnis folgern: Der Wirtschaft ist es ziemlich egal ob sie etwas Nützliches schafft oder etwas Unnützes. Etwas nützliches verkauft sich gut weil es die Menschen brauchen können, aber ebenso gut lässt sich etwas verkaufen wofür die Bedürfnisse erst künstlich geschaffen werden müssen. Indem zuerst etwas zerstört wird was nachher wieder aufgebaut werden muss, indem uns Werbung einredet, dass wir dies und jenes erst brauchen um glücklich zu sein, indem auf der einen Seite ein Loch ausgehoben wird, dass auf der anderen Seite wieder zugeschüttet werden muss.
Bei genaueren Hinsehen wird klar, dass fast die gesamte Wirtschaft heute so funktioniert. Sie behebt die Probleme die wir ohne sie gar nicht hätten. Dank des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der Zunahme der Produktivkräfte müssten wir, wenn wir auf den Produktionsniveau an Gütern und Dienstleistungen von 1950 stehen geblieben wären nur noch etwa 10 Stunden statt 40 Stunden einer Erwerbsarbeit nachgehen. Was produzieren wir also in den restlichen 30 Stunden? (Wobei zu bedenken gibt, dass es neben der Erwerbsarbeit auch viel unbezahlte Arbeit gibt und gab). Zum Teil geht die Produktion sicherlich auch in höheren Lebensstandard, zum Teil sehen wir eine zunehmende Ausbeutung und die damit verbundene wachsende Schere zwischen Arm und Reich, aber zu einem großen Teil produzieren wir einfach Dinge die wir gar nicht brauchen.
Aus der Sicht der arbeitenden Mehrheit ist es im übrigen auch egal ob wir Luxusgüter für die Kapitalisten oder einfach nur unnützes Zeugs produzieren, in beiden Fällen haben wir recht wenig davon. Angesichts der Tatsache, dass wir nicht nur unnützes Zeugs produzieren sondern auch schädliches wie Waffen und Umweltzerstörung wäre ersteres sogar noch zu bevorzugen. Erstaunlich ist, dass obwohl Bastiats kleiner Fehler jetzt schon etwa 160 Jahre zurück liegt, die Wirtschaftsideologen noch immer mit den selben Lügen hausieren gehen könne, dass die Wirtschaftskammer noch immer mit dem Slogen "Gehts der Wirtschaft gut, gehts uns allen gut" hausieren gehen kann. Aber nicht nur die "einfachen" Leute lassen sich mit dem Schwachsinn blenden, auch in Wissenschaftlichen Publikationen werden solche Fehler noch immer gemacht.
So z.B. eine von Microsoft beauftrage Studie von IDC:
"The Economic Impact of Microsoft Windows Vista" (pdf)
Siehe auch: Slashdot Artikel und "50,000 New Jobs in 2007: IDC Research Predicts Impact of Windows Vista on Europe’s IT Industry and Business Economy"
In der Studie geht Microsoft davon aus, dass in Europa etwa 1 Million Arbeitsplätze an Windows Vista hängen werden (nachdem es den Vorgänger XP abgelöst hat) und etwa 50000 neue Jobs geschaffen werden. Für jeden Euro der für Microsoft Windows ausgeben wird werden zusätzlich 14 Euros wo anders ausgeben. Bastiats "Broken Windows" Parabel erhält hier erfrischend neue Aktualität. Es wird als ein "neues" Betriebsystem herausgeben und die Menschen dazu genötigt auf diese früher oder später umzustellen. Unverschämte Hardwareanforderungen machen dann auch die Anschaffung neuer Computer notwendig (Für Vista Premisum werden 1 GB RAM und eine 128MB-Grafikkarte vorausgesetzt). Viel bunter neuer Schnickschnack wird dafür sorgen, dass auch diese Computer nicht schneller starten und bei der Textverarbeitung noch träger sind als die Computer von vor 15 Jahren, dafür haben diese Dinger dann auch wieder neue Sicherheitslücken und brauchen eine Unmenge an neuen Virenschutz und Firewalls und natürlich Menschen die diese aufsetzen und betreuen, etc....
Wir haben also 1 Million Menschen in Europa die Löcher aus schaufeln und wieder zuschütten und ansonsten nichts produktives tun, außer dafür zu sorgen, dass die Profite bei Microsoft und anderen Firmen stimmen. Ein großer Teil des Aufwands könnte gespart werden wenn wir alle auf Freie Software und Linux umsteigen würden.
In den meisten anderen Branchen ist es ähnlich. Viele Branchen sind überhaupt gänzlich obsolet: Musikindustrie und Medienkonzerne braucht im Zeitalter des Internets niemand. Werbeindustrie nützt niemanden schafft aber nur künstliche Bedürfnisse. Mit der Aufhebung so genannter "geistiger Eigentumsrechte" könnte in vielen Bereich der Produktion extrem viel gespart werden. Wie viele Produkte werden absichtlich besonders kurzlebig und zerbrechlich hergestellt, weil damit schneller neuer Umsatz generiert wird? Wie viel Prozent unserer Erwerbsarbeit ist eigentlich noch gesellschaftlich nützliche Arbeit? Sogar in Bereichen die auf den ersten Blick extrem sinnvoll erscheinen ist vieles nur das Zuschütten von Gruben die von Anderen ausgehoben wurden. Z.B.: wie viel an Sozialarbeit könnten wir uns sparen wenn wir nicht in einer Gesellschaft leben würden die uns erst krank macht? etc..
Ein britischer Wissenschaftler hat kürzlich gemeint, dass der Klimawandel eine Weltwirtschaftskrise auslösen könnte. Das Problem ist allerdings, dass die Massiven Umweltschäden eben die Wirtschaft auch wieder ankurbeln und das mit der Krise keinesfalls sicher ist und damit auch keine Motivation gegeben ist die Katastrophe zu verhindern. Wenn die Leute verhungern die sich kein Essen leisten können, dann stört das die Wirtschaft recht wenig. Auch jetzt verhungert alle 5 Sekunden ein Kind und die Wirtschaft kann ganz gut damit leben und gibt in den selben 5 Sekunden lieber 130000 Euro für Rüstung aus anstatt das Geld für Entwicklungshilfe zu nutzen.
Das ist eines der fundamentalen Probleme der wirtschaftsliberalen Ideologie. Der Wirtschaft ist scheißegal ob es uns gut geht oder schlecht. Die logische Konsequent ist: Wir müssen die Wirtschaft radikal demokratisieren. Damit wir bestimmen können was und wie produziert wird. Ob wir lieber die Regale voll unnützen Schrott haben wollen oder lieber etwas mehr Freizeit um in der Sonne zu sitzen und ein Buch zu lesen. Marktwirtschaft ist weder sozial noch Ökologisch.
Eine solche radikale Demokratisierung ist natürlich nicht im Interesse des herrschenden Systems, dann damit werden Profitmöglichkeiten beseitigt und Macht neu verteilt. Eine solche radikale Demkoratisierung müssen wir uns gegen das System erkämpfen. 99% der Menschen haben dabei nichts zu verlieren aber viel zu gewinnen.
Meint euer
Franz Schäfer (mond) (Oktober 2006)