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Börsencrash und Realwirtschaft

Donnerstag 2. Oktober 2008, von mond

Am Montag dem 29. September 2008 wurden durch einen Kurssturz an der Wall Street, an einem Tag 1.2 Billionen Dollar ( = 834 Milliarden EURO) „vernichtet“. Das klingt erschreckend, aber was heißt das für uns arbeitende Menschen wirklich? Die Frage ist auch ob „vernichtet“ hier das richtige Wort ist. Das Geld einer Spekulationsblase hat ja nie wirklich existiert.

Langfristige Gewinne mit Aktien

Wer sein Geld in Aktien anlegen kann, der/die konnte in den letzten Jahrzehnten mit etwa 6 bis 7% an Kurssteigerung über der Inflation rechnen. Dazu noch jährlich bezahlte Dividenden rund um etwa 3% [1]. Interessant ist das natürlich nur für jene die gut genug gepolstert sind um kurzfristige Kurseinbrüche zu überleben.

Arbeitende Menschen haben wenig zu verlieren

Working Class
Wikimedias Commons, GFDL

Arbeitende Menschen müssen mehr oder minder von der Hand in den Mund leben: Wir verkaufen unsere Arbeitskraft und bekommen dafür Lohn der mehr oder minder ausreichend ist um einen gewissen Lebensstandard zu halten. Viel sparen können die meisten ohnehin nicht, auch wenn von den neoliberalen Ideologen empfohlen wird Private Pensionsversicherungen und ähnliches anzulegen, damit die Banken wieder mehr Spielgeld haben. Irgend Jemand muss die Glaspaläste der Versicherungskonzerne ja bezahlen.

Ein Börsencrash ist uns damit im Grunde relativ egal: wir haben im großen und ganzen nichts zu verlieren. Die Frage ist natürlich wie sich so ein Crash auf die reale Wirtschaft auswirkt.

Wie Börsenkurse funktionieren

Nehmen wir ein reales Unternehmen, das reale, nützliche Güter für uns Menschen produziert. (z.B.: Baumaterialien, Nahrungsmittel, etc..). Durch die Ausbeutung der Menschlichen Arbeitskraft und natürlicher Resourcen erwirtschaftet es jährlich einen Gewinn von 8%. 3% davon zahlen sich die Manager als Komplizen der Eigentümer an Premien aus. Bleiben 5% für die AktionärInnen als Dividende. Angenommen der Aktienkurs würde 100 Euro pro Stück betragen (mit dem Geld wurden zu dem Zeitpunkt an dem die Aktien ausgegeben z.B. reale Maschinen und Grundstücke gekauft, etc..)

Angenommen ein anderes Unternehmen würde regelmäßig höhere Dividenden pro Aktien ausgeben und hätte ebenfalls einen Kurs von 100 Euro. Dann würden natürlich die AktionärInnen die eine Aktie verkaufen und die andere Kaufen solange bis die Dividende pro Aktie die selbe ist.

Die Kurse der Aktien sind also die Erwartungen in zukünftige Gewinnen. Da immer wieder Dividenden ausgeschüttet werden steigen die Kurse eher als das sie fallen (es wird mehr gekauft als verkauft). Natürlich werden auch neue Unternehmen gegründet bzw alte Unternehmen geben neue Aktien aus um mit frischem Geld neue Investitionen zu tätigen (z.B. Maschinen zu kaufen).

Für die Unternehmen selbst ist es zuerst einmal egal wie hoch der Börsenkurs ist: Das Geld wird ja bei der Ausgabe der Aktien kassiert und damit wird dann hoffentlich sinnvolle sinnvolle reale Investitionen getätigt.

Günstige Szenarien in denen Börsenkurse fallen

Geoff Hogg: Victorian Trades Hall Council
Geoff Hogg: Victorian Trades Hall Council, 1982-83
Source: Museum Victoria

Beispiel: Angenommen in einem Betrieb gibt es eine stark organisierte Gewerkschaft und ein hohes Maß an ökologischer Verantwortung. Angenommen, die Gewerkschaften schaffen es mit Streikdrohungen gute arbeitsbedungen, hohe Löhne und vielleicht sogar eine ökologisch sinnvolle Produktion durchzusetzen, dann werden natürlich die Profite sinken und es kann weniger Dividende ausgezahlt werden. Die Folge davon: Der Aktienkurs sinkt aber die reale Wirtschaft funktioniert besser als bei hohen Kursen.

Natürlich können die AktionärInnen drohen die Firma zu liquidieren (d.h. die ArbeiterInnen zu entlassen und die Maschienen zu verkaufen) und das Geld in die Produktion in andere Länder zu investieren.

Das geht natürlich dort nicht so leicht wo das wichtigste „Kapital“ das Know-How und die Kreativität der arbeitenden Menschen sind. Darum war der Streik der DrehbuchschreiberInnen auch erfolgreich und genau darum versuchen die Konzerne und ihre Helfershelfer in der Politik zunehmend die so genannten „geistigen Eigentumsrechte“ zu verschärfen.

Ein anderes Beispiel: während der Dot-Com Blase wurde sehr viel Geld in sinnloses Zeugs investiert. Aber manches auch in handfeste Infrastruktur: Große Mengen an Glasfaserkabel wurden verlegt. Viel mehr als benötigt. Die entsprechenden Firmen gingen pleite, das Glas ist aber verlegt und wurde von anderen billigst aufgekauft. So haben wir heute billiges Internet weil sie die Kapitalisten verspekuliert haben. Die Konzerne haben mit ihren Verlusten unser aller Internet bezahlt! Ist doch schön. Umverteilung wie sie sein soll.

Einflüsse auf die Realwirtschaft

Wir haben oben gesehen, dass die fallenden Kurse nicht unbedingt Einfluss auf die Realwirtschaft haben und dass andererseits sogar realwirtschaftlich positive Entwicklungen (z.B. höhere Löhne) die Ursache von fallenden Börsenkursen sein können.

Natürlich gibt es auch negative Einflüsse auf die Realwirtschaft: In der aktuellen Immobilienblase wurden viele neue Häuser gebaut da Kredite billig und leicht zu haben. Das hat sich positiv auf die Bauwirtschaft ausgewirkt. Jetzt sind zuviele Häuser leerstehend und Kredite teuer und niemand baut mehr. Folglich hat die Bauwirtschaft keine Aufträge mehr und muss Arbeitsplätze abbauen. Damit verbunden viel Leid und Probleme für die dort arbeitende Menschen.

Wo der Crash für die KapitalistInnen nur ein paar Zahlen auf einem Blatt Papier bedeutet, können solche Krisen für die arbeitenden Menschen zu existenziellen Problemen führen. Wichtig ist aber auch zu erkennen, dass das Problem nicht der eigentliche Crash ist sondern, schon die Fehlsteuerung der Wirtschaft während der Blase davor: Wenn mehr gebaut wird als notwendig dann kann das naturgemäß nicht ewig so weiter gehen.

Die Weltwirtschaftskrise 1929

Wall Street

Grund für die Weltwirtschaftskrise 1929 war eine große Überproduktion der Wirtschaft. Aufgrund neuer Technologien und der fordistischen Arbeitsorganisation konnten mehr Güter hergestellt werden als notwendig waren. Diese wurden zum Teil auf Halde gelegt. Das führte zu sinkenden Preisen. Das Brachte die Unternehmen in Schwierigkeiten da damit die Profite sanken. Es wurden Menschen entlassen und das führte zu einem weiteren Rückgang des Konsums und damit zu weiter fallenden Preisen. Es kam zur paradoxen Situation, dass obwohl ein großer Überschuss an Gütern vorhanden war viele Menschen hungerten. Es handelt sich hier also in erster Linie um eine Krise in der realwirtschaft die sich dann in den Börsenkursen ausdrückte und nicht in erster Linie um eine Spekulationsblase.

Schon Marx sagte diese periodischen Krisen voraus. Im Kommunistischen Manifest heißt es:

In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus,
welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre - die
Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in
einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zuviel Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt. Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen
gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen
Eigentums.
“ — Manifest der Kommunistischen Partei, Karl Marx, 1847

Geldkapital und wirkliches Kapital

Marx hat diese Phänomene im dritten Band des Kapitals (MEW25) schon sehr gut analysiert:

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das Warenkapital seine Eigenschaft, potentielles Geldkapital darzustellen, in der Krise und überhaupt in Geschäftsstockungen in großem Maß verliert. Dasselbe gilt von dem fiktiven Kapital, den zinstragenden Papieren, soweit diese selbst als Geldkapitale auf der Börse zirkulieren. Mit dem steigenden Zins fällt ihr Preis. Er fällt ferner durch den allgemeinen Kreditmangel, der ihre Eigner zwingt, sie massenweis auf dem Markt loszuschlagen, um sich Geld zu verschaffen. Er fällt endlich bei Aktien, teils infolge der Abnahme der Revenuen, worauf sie Anweisungen sind, teils infolge des Schwindelcharakters der Unternehmungen, die sie oft genug repräsentieren. Dies fiktive Geldkapital ist in Krisen enorm vermindert und damit die Macht seiner Eigner, Geld darauf im Markt aufzunehmen. Die Verminderung der Geldnamen dieser Wertpapiere im Kurszettel hat jedoch nichts zu tun mit dem wirklichen Kapital, das sie vorstellen, dagegen sehr viel mit der Zahlungsfähigkeit seiner Eigner.“ — MEW25:510, Karl Marx, Kapital III,

Zusammenfassung und Folgerung

Kursverluste an der Börse sind nicht immer schlecht. Sie können auch die Folge erfolgreicher Arbeitskämpfe sein oder zu gesellschaftlichen Umverteilung führen. Sie können aber auch Ausdruck realwirtschaftlicher Krisen sein die oft eine Folge der Überproduktion sind.

Überproduktion muss der Kapitalismus vernichten. Entweder in dem künstliche Ineffizienz geschaffen wird oder in dem Kriege angezettelt werden (Siehe auch: Die sieben Probleme mit dem Kapitalismus).

Angesichts der vielen Probleme mit diesem System ist dessen Überwindung langfristig die einzig sinnvolle Lösung. Kurzfristige Verbesserung könnten aber andere Maßnahmen bringen:

  • Deutliche Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich um die Überproduktion auszugleichen
  • Bedingungsloses Grundeinkommen um die Überproduktion auszugleichen, die Risken von Wirtschaftsschwankungen nicht auf die Menschen abzuladen und Raum für alternative, nicht kapitalistisch organisierte Wirtschaft zu schaffen.
  • Spekulationssteuern (Tobintax & Co) um die Fluktuation an den Märkten zu dämpfen
  • Erschwerung von Betriebsschließungen oder Absiedelungen
  • Aufhebung so genannter „geistiger Eigentumsrechte“.
  • Anstatt staatlicher Kontrolle generelle Erhöhung der Transparenz von Wirtschaftssbläufen: z.B.: Verpflichtung Transaktionen ab einer gewissen Höhe (z.B.: 10000 EURO) für alle Einsichtig im Internet zu veröffentlichen.
  • Demokratisierung der Wirtschaft: Mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten für den Betriebsrat. u.ä.

Viele diese Maßnahmen werden zu weiteren Kursverlusten führen aber es geht ja darum die reale Wirtschaft (die Produktion gesellschaftlich sinnvoller Güter) zu schützen. Vergessen dürfen wir dabei nicht, dass im Kapitalismus alle Gewinne letztlich gerade aus dieser Produktion erwirtschaftet werden. Wir können also erwarten dass manche der obigen Forderungen durchaus auch bei KapitalistInnen auf zustimmung stossen: Manche von denen wollen durchaus lieber langfristig gesicherte Profite als hohe Profite mit hohem Risiko. „Nachhaltigkeit“ heißt das im neuen Managerkauderwelsch.

Gefahr eines neuen Rechtsextremismus

Gerade die oberflächliche Kritik an den Phänomenen der Finanzwelt birgt die große Gefahr damit Rechten und Rechtsextremen in die Hände zu spielen. Und solche oberflächliche Kritik kommt leider immer öfter auch in angeblichen Qualitätsmedien vor. Siehe auch: Verkürzte Kapitalismuskritik

Franz Schäfer, Anfang Oktober 2008

Anmerkungen

[1Daten zur Inflation: [ftp://ftp.bls.gov/pub/special.requests/cpi/cpiai.txt] ,
Dividenden: [http://www.indexarb.com/dividendYieldSorteddj.html] ,
Dow Jones [http://stockcharts.com/charts/historical/djia1900.html] ,
Kurssteigerung Dow Jones: 1945 bis 2008: Faktor 672. Akkumulierte Inflation (CPI) Faktor 11.70. Jährliche Steigerung: 6.6%


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